Tracing-App als Gefahr für die Grundrechte?
Auch wenn die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland zuletzt deutlich zurückgegangen ist, die Ausgangsbeschränkung aufgehoben wurde und weitere Lockerungen in Kraft getreten sind – bis eine Impfung oder eine verlässliche Therapie gegen das Corona-Virus verfügbar sind, werden die Menschen in Deutschland weiterhin mit Einschränkungen oder der Angst vor einer unkontrollierbaren Verbreitung des Virus leben müssen.
Bei der Erforschung und Eindämmung von Covid-19 könnten sogenannte Corona-Apps helfen – Programme für private Smartphones, die zum einen Daten für das Monitoring des Infektionsgeschehens im Zusammenhang mit dem Virus sammeln, zum anderen die Warnung von Kontaktpersonen im Fall einer Infektion erleichtern können. Die Juristen Professor Dr. Jürgen Kühling und Roman Schildbach von der Universität Regensburg haben jetzt eine umfassende Analyse zur rechtlichen Zulässigkeit von Corona-Apps veröffentlicht.
In der aktuellen Ausgabe der Neuen Juristischen Wochenschrift haben die Regensburger Rechtswissenschaftler eine erste datenschutz- und verfassungsrechtliche Einordnung der Diskussion um die Corona-Apps in Deutschland vorgenommen. Die Bedenken sind groß: So groß die Hoffnung ist, dass diese Apps einen Beitrag zur Normalisierung unseres Alltags leisten, so groß sind auf der anderen Seite datenschutzrechtliche Vorbehalte und die Furcht vor einer staatlichen Überwachung durch zwangsweise verordnete Apps.
Die beiden Juristen nehmen dabei sowohl die derzeit bereits verfügbare „Corona-Datenspende“-App des Robert Koch-Instituts (RKI) als auch die noch in der Entwicklung befindliche Corona-Tracing-App in den Blick. Diese wird derzeit von Telekom und SAP entwickelt und wird voraussichtlich ebenfalls vom RKI als Verantwortliche bereitgestellt.
Das Ziel der Datenspende-App des RKI: Gesundheitsdaten der App-Nutzer zu erhalten. Die Auswertung dieser Daten kann dazu beitragen, Infektionsherde frühzeitig zu erkennen. Mithilfe der Tracing-App soll es gelingen, Infektionsketten zu durchbrechen, indem Kontaktpersonen von infizierten Personen gewarnt werden – und das wesentlich schneller und potenziell umfassender als mithilfe der Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter.
Solange die Nutzung der Apps auf Freiwilligkeit basiert, sehen Kühling und Schildbach keine grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Bedenken. Im Fall der Datenspende-App sei auch nichts anderes als eine freiwillige Weitergabe der Gesundheitsdaten an das RKI vorgesehen – wie die Bezeichnung als „Spende“ bereits impliziert. Eine freiwillige Entscheidung zur Nutzung der App und zur Weitergabe persönlicher Gesundheitsdaten sei aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, so Kühling und Schildbach.
Bei der – frühestens wohl im Juni verfügbaren – Tracing-App ist das anders. Ihr Erfolg, führen die beiden Juristen aus, sei wesentlich davon abhängig, wie viele Personen sie auf ihrem Mobiltelefon installieren und nutzen. Auf Basis der Freiwilligkeit sehen sie auch hier die prinzipielle Zulässigkeit gegeben. Heikel sei dagegen die Frage, ob eine Contact-Tracing-App auch mit staatlichem Zwang durchgesetzt werden dürfte.
Einerseits würde die Verpflichtung zur Nutzung einer Tracing-App die Freiheitsrechte weniger stark einschränken als die Alternative eines totalen Shutdowns. Andererseits würde eine App-Pflicht weitere Grundrechtseingriffe nach sich ziehen, wie zum Beispiel eine „Handy-Mitführungspflicht“ oder ein „Bluetooth-Ausschalteverbot“.
Diese Ge- und Verbote dann auch noch zu kontrollieren oder durchsetzen zu wollen, „brächte nochmal viel weitergehende persönlichkeitsrechtliche Folgebeeinträchtigungen“, so Kühling und Schildbach.
Das Fazit der Regensburger Rechtswissenschaftler: Wird die künftige Tracing-App auf Einwilligungsbasis und unter Beachtung einiger Rahmenbedingungen eingeführt, kann sie datenschutzrechtskonform umgesetzt werden. Sie schreiben jedoch auch: „Die Einführung einer Pflicht zur Nutzung der Tracing-App sei zwar nach unionalem Datenschutzrecht nicht grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch kaum grundrechtskonform zu verwirklichen.“
Für die Zukunft empfehlen die Juristen, das europäische und deutsche Datenschutzrecht so funktionsfähig zu machen, dass man auch in Krisenzeiten rasch Lösungen entwickeln kann, die die Grundrechte nicht einschränken.
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